Die totale Sonnenfinsternis in Indien

24. Oktober 1995


Heisenberg in Radjasthan oder die SoFi 95
von Georg Dittie


Hallo, liebe Astronomen,

Vorwort:

Diese Reise zu einer totalen Sonnenfinsternis hat mich so bewegt wie keine zweite es vermochte, weder im positiven noch im negativen und erst recht nicht im unerwarteten Sinne. Darum wird der ganz und gar subjektive Bericht von dieser Expedition auf die Central Line in Indien auch viel laenger und auch viel seltsamer als es einem trockenen Abspulen eines astronomischen Ereignises gebuehrt.

 Schon beim Titel war ich mir nicht so klar ob ich diesen Bericht etwa "Hic Sunt Tigres" taufen sollte, was vom lateinischen ins deutsche uebersetzt "Hier sind Tiger" bedeutet. Genau das (mit Loewen anstatt den besser zu Indien passenden Tigern) trug man aber im Mittelalter dort in die Landkarten ein ueber die nun rein gar nichts bekannt war. Und genau das traf auch auf das Land zu, dass am 24. Oktober 1995 vom Schatten des Mondes durchstreift werden sollte.

Fangen wir mit den Prophezeiungen an: man versprach mir a) sichereres Erkranken, b) bis auf die dreckige Unterhose abgezockt zu werden und c) Ueberfaelle und extreme Kriminalitaet. Nichts von alledem kann so stehen bleiben. Meine Reisepartner und ich sind alle schmutzig, aber kerngesund und braungebrannt nach Hause zurueckgekehrt. Natuerlich habe wir etwas Lehrgeld zahlen muessen, aber meine eigenen Verluste belaufen sich etwa auf 50 US$ und eine Flasche Haarschampoo. Und so ehrliche und friedliche und vor allem wissbegierige und tolerante Menschen wie die Inder auf dem Lande habe nur ganz selten zuvor getroffen. Die blutgierige Geiferei des Spiegel entpuppt sich also als reine Schmierenkomoedie. Ob der das nach dem "Ich-will-den-Stolpe-unbedingt-abschiessen" Debakel noetig hat ? (Manfred Stolpe erhielt bei den Brandenburger Landtagswahlen 56 % der Stimmen als Antwort auf die Hetzkampagne von Stefan Aust, dem Fernsehchef des Spiegel)

Ich habe aber noch was anderes mit nach Hause gebracht, naemlich einige unmittelbare Erfahrungen, die vor meiner Abreise ganz ausserhalb meiner Welt standen. Und das ist das eigentliche Ergebnis dieser Expedition, nicht nur die prachtvollen Videos, die mit von der Sonnenfinsternis gelungen sind.

 Indien ist ein ganz uraltes Kulturland und man begegnet dieser jahrtausendealten Kultur auf Schritt und Tritt.

Indien ist stark im Umbruch. Tagtaeglich begegneten wir neuen Phaenomenen, die kein Reisefuehrer oder weitgereister Orientalist vorhergesagt haette.

 In Indien gelten Regeln des Alltags, die von unseren ganz grundsaetzlich verschieden ist. Der westliche Rationalismus ist wahrhaftig nicht der Weisheit letzter Schluss.

Indien ist aber auch definitiv kein weisser Fleck auf der Landkarte. Nur wir machen es dazu, wenn wir unsere westliche Vorstellungswelt auf Indien projizieren. "Hic Sunt Tigres" wuerde dem Land Unrecht tun.

Und deshalb habe ich die Welt Indiens eher mit der Heisenbergschen Unschaerferelation aus der Quantenmechanik in Zusammenhang gebracht, denn das ist die wichtigste Beobachtung, die ich aus unserer Expedition gewonnen habe: Wenn wir Indien verstehen wollen, so muessen wir uns vom bis in kleinste geregelten Determinismus verabschieden. Das Leben und Denken der Inder ist nicht beliebig fein aufloesbar, sondern wird, je detailierter wir schauen wollen immer unschaerfer. Wer das immer im Auge hat, wird die Dinge aus meinem Reisebericht und auch sehr viele indische Eigenheiten besser verstehen koennen.

1. Akt: Wie alles anfing ...

Man schreibt den 3. November 1994. Eine kleine Expedition aus sechs Bonner Astronomen steht auf einem staubigen Fussballplatz einer nordchilennischen Grenzkaserne und harrt der Totalitaetsphase der Sonnenfinsternis an diesem Tag. Neben unserem Beobachtungsclaim steht ein Zelt, in dem sich zwei Koronaspektrografen des astrophysikalischen Institutes von Bangalore, Indien befinden. El Capitans erster Videoakku geht vorzeitig in die Knie. El Capitan geht zum Nachbarn und fragt, ob er sein kleines Ladegeraet mit anklemmen darf und er durfte, denn seine Glaeser sind gespuelt und dann klappts auch mitm Nachbarn und seine Sofivideos waren gerettet. Daniel Fischer sucht diese sehr freundlichen Inder spaeter auf und stellt dann einen nicht mehr abreissenden Kontakt zu Professor Jagdeev Singh her, der uns daraufhin zur kommenden Finsternis am 24. Oktober 1995 nach Nim Ka Thana in Radjasthan, der westlichsten und wuestenhaftesten indischen Provinz einlaedt.

Daniel Fischer hat das dann mit Hilfe der NASA-Berechnungen, die auf Jahre im Vorraus fuer jede Sonnenfinsternis veroeffentlicht werden, abgecheckt und es stimmte: In Radjasthan ist das Verhaeltnis aus Sonnenhoehe ueber dem Horizont, aus der Laenge der Totalitaetsphase und der Wahrscheinlichkeit fuer klaren Himmel am allerbesten gewesen. Im Iran waere die Finsterniss nur wenige Sekunden lang gewesen und die Sonne haette auch nur wenige Grade ueber dem Horizont gestanden, dafuer waere das Wetter ziemlich sicher optimal gewesen. In Vietnam waere die Finsternis zwar fast drei Minuten lang und stuende hoch am Nachmittagshimmel, aber hier waren mit 90% Sicherheit Wolken zu erwarten. Die Auswertung von 30 Jahren Satellitenbeobachtung ergaben fuer die Wuestenprovinz Radjasthan in Indien mit 28 Grad Sonnenhoehe, bei 49 vorhergesagten Finsternissekunden und nur 10% Bewoelkungswahrschein- lichkeit ein Optimum fuer den Beobachtungserfolg. Genau das hat auch Jagdeev Singh gedacht und das kleine und wenig bekannte Landstaedtchen Nim Ka Thana als Ort des diesjaehrigen Proficamps gewaehlt.

2. Akt: Die Vorbereitung

Zur Vorbereitung gehoeren drei Dinge:

 a) Man organisiert eine Reise und vor alledem den Aufenthalt auf der Central Line, denn die tut uns fast nie den Gefallen, durch Touristenhochburgen zu laufen. Den Part hat Daniel Fischer per e-mail mit Prof. Singh erledigt. Nur klemmt der Server in Indien sehr haeufig und Prof. Singh hatte mit uns nur ein einziges Mal ungestoerten Kontakt. Darin war aber alle notwendige Information enthalten. Also sind wir mit einer Bildschirmhardcopy der einzigen durchgekommenen e-mail als komplette Dokumentation losgezogen ...

Ansonsten gibt es schon eine ganze Latte Reisefuehrer ueber Indien, deren Grundtenor sich ziemlich gleicht: Indien ist nichts fuer Anfaenger ! Die hygienischen Verhaeltnisse zwingen zu Kompromissen, eine gute Gesundheitsvorsorge (Impfen, Malariatabletten, Badelatschen, Moskitonetz) ist Pflicht. Irgendwoher bekam ich den Tip, es gebe kein Toilettenpapier und so wars dann auch. Also zwei Backup-Rollen einpacken. Indien ist aber auch das billigste Land ueberhaupt. In der Zeit dort habe ich weniger Geld ausgegeben, als wenn ich zu Hause geblieben waere. Mit 200 US$ pro Woche kommt man durchs ganze Land incl. allem.

b) Eine Sonnenfinsternis ist ein astronomisches und damit wissenschaft- liches Ereignis. Und mit vorhergesagten 50 Sekunden ist speziell diese Sonnenfinsternis so kurz, dass es schon besonderer Anstrengungen bedarf, um in dieser irre kurzen Zeit alle der vielfaeltigen Phaenomene mitzubekommen. Ich denke mir mal, das hier eine ganze Reihe Leute mitlesen, die (leider) noch nie eine totale Sonnenfinsternis gesehen haben, also moechte ich die einzelnen Phaenomene und ihren wissenschaftlichen Wert naeher erklaeren:
 
 

In Vorbereitung der Finsternis haben wir genau geplant, was waehrend der einzelnen Phasen zu tun ist: Die Finsternis sollte um 7h 14m in einer Hoehe von 11 Grad ueber dem Horizont beginnen. die partiellen Phasen dauern jeweils 78 Minuten. Die Totalitaet beginnt um 7h 31m (alles in Ortszeit, zu UT mit -5.5 Stunden Zeitverschiebung) und sollte 50 Sekunden spaeter enden. Sie findet in einer Sonnenhoehe von 27 Grad statt.

Zur wissenschaftlichen Vorbereitung gehoert auch die Planung des Instrumentariums: Dieses Mal habe ich zwei Videokameras zum Einsatz bringen wollen. Die erste ist meine CANON EX-1 mit Wechseloptik, die ich wieder mit meinem SIGMA APO-Zoom 70-210, dass sich schon in Chile bestens bewaehrt hatte, ausgestattet ist. Waehrend der partiellen Phase daempft ein Glasfilter der Russentonne, den Wolfgang Lille mit Chrom beschichten liess, das Sonnenlicht ab. Sechs Sekunden vor der Totalitaet wird dieser Filter vom Objektiv weggenommen und hinterher diese 6 Sekunden spaeter wieder aufgesetzt. "SENECA"s Rat habe ich irgendwie vorweg geahnt, denn ich habe genau jene TR 2000 von SONY, die er schon waehrend unserer Reise empfahl, mitgenommen. Auf dem Russenmarkt habe ich mir dazu noch einen passenden Ultraweitwinkelkonverter gekauft. Damit wollte ich die Umgegend mit 94 Grad Bildwinkel in der Diagonalen filmen, um evtl. fliegende Schatten, den Mondschatten, und weitere Phaenomene wie helle Planeten nahebei zu erwischen. Dabei sollte die SONY fest auf einem normalen Tripod stehen, waehrend die Canon wieder auf meine quietschgelb lackierte Vixen- GP Montierung aufgebaut werden sollte. Lediglich die Stuhlbeine, die ich noch in Chile verwendet hatte, habe ich durch eine wesentlich leichtere Aluminiumkonstruktion mit sechs Stangen ersetzt, die sich in ersten Trockentest als aussergewoehnlich stabil und dabei federleicht erwies.

c) Die psychologische Vorbereitung: Wir haben zwei Wochen vor Abflug noch ein Treffen (fast) aller Expeditionsteilnehmer abgehalten und das nehme ich zu Anlass, mal jeden zu nennen:

Dieses Vorbereitungstreffen endete mit einem "Arbeitsessen" in einem recht feinen indischen Restaurant ...

3. Akt: die Reise nach Indien und die erste Begegnung der besonderen Art ....

Am Sonntag, den 15.10. trafen wir uns in aller Fruehe in der Eincheckhalle vom Hamburger Flughafen in Foolsbuettel. Um 7.00 ging dann der Flieger nach Amsterdam um von dort aus wieder (diesmal aber in 10 km Hoehe ueber Foolsbuettel) genau entgegengesetzt nach Osten zu fliegen. Wegen der Zeitverschiebung von kurioserweise 4h 30 min gegenueber MEZ fanden wir uns um Mitternacht am Flughafen in New Delhi ein um gleich einen ersten Schock verpasst zu bekommen: Nachts kann man im immer 30 Grad warmen Delhi keine 300 Meter weit sehen. Es herrscht ein bestialischer Smog aus Staub, Ozon und Dieselruss. Die Fahrt zum Hotel erwies sich dann als Fortsetzung der Apokalypse, denn es gibt in Indien nur eine Verkehrsregel: Kamikaze !

Der Inder faehrt nach folgendem Prinzip: Immer in der Mitte und wer als erster ausweicht, hat verloren. Wer nach rechts abbiegen will (in Indien herrscht tendenziell Linksverkehr), draengelt sich schon 100 m vorher Auge in Auge mit dem bedrohlichen Gegenverkehr frontal in den selben, um ihn zum Passieren links zu zwingen, wenn man noch den sicheren Frontal- zusammenstoss vermeiden will. Will man um einen Kreisverkehr, so schneidet man ganz brutal dem Querverkehr den Weg ab, das einzig moegliche ueberhaupt, den die Luecke gibt es nicht.

Aber dann passiert etwas ganz seltsames: Der Geschaedigte verzichtet auf sein Recht und es gibt eben keinen schon sicher geglaubten Unfall. Keinem Inder wuerde auch nur im wildesten Alptraum einfallen, sich als ach so kompetenter Schulmeister aufzuspielen: Teutsche Rechthaberei kombiniert mit indischem Fahrstil: Nach drei Tage waere die halbe Bevoelkerung ums Leben gekommen. Das war die erste Lektion, die wir auf nuechternen Magen hinnehmen mussten. In den kommenden Tagen erhielten wir noch oft eine Demonstration dieses vollkommen anderen Denkens: Oft hatte sich unser Vehikel scheinbar hoffnungslos in einer engen Strass verkeilt und uns erschien die Situation aussichtslos. Aber wie durch ein Wunder loeste sich dieser Knubbel aus Fahrzeugen und Karren schon nach Sekunden wieder auf, denn hier dachte jeder nur daran, wie man das Chaos entknaeueln konnte anstatt wie hier stur auf das (kraft der Situation sinnlose) Recht zu pochen und Schuldzuweisungen zu verschleudern.

 Spaeter dann konnte ich bei niemand Geringeren als Jarwahalal Nehru nachlesen, woran das liegt: In der indischen Tradition ist das altruistische Gruppendenken tief verwurzelt. Dem Inder ist unsere westliche individualistische Egozentrik voellig fremd.

Delhi erwies sich als ein Platz, den Dante, so er denn in unseren Tagen gelebt und geschrieben haette, als Vorbild fuer seine Hoellensphaeren genommen haette. Delhi ist teuer und jeder im Tourismus Taetige versucht nur, jeden Indienunkundigen nach Strich und Faden auszunehmen. Diese Abzockerei ist dermassen penetrant und allgegenwaertig, dass Indien seinen miserablen Ruf auf den ersten Blick nur zu Recht verdient hat. Dazu kommt eben dieser Hoellenverkehr und der Brodem des ewigen Smogs, der einem auch die letzten Bronchien veraetzt. Wie koennen sich Menschen das nur antun !

Auch wir gerieten in diesen Sumpf aus Betrug und Schlepperei, dem weniger energische Pauschaltouristen schliesslich erliegen: Unser erstes Hotel erwies sich mit einigen versteckten Steuern und Gebuehren und falsch berechneten Zimmern als voellig ueberteuert, dazu noch schlecht gelegen. Die Stadtrundfahrt eines ersten Tourist Office war schon an der Schmerzgrenze (jeder, der meinte uns ins Bildfeld unserer Kameras laufen zu muessen, schrie Bakschisch, Bakschisch, bis wir fast handgreiflich werden mussten, zwei tolldreiste Rikschafahrer verlangten von uns den sechsfachen Preis, der sonst normal ist, bis wir sie im preussischen Kasernenhofstil zusammengeschissen haben, das sind selbst Abzocker in Delhi nicht gewohnt), aber das dollste sollte noch kommen: In einem zweiten Reisebuero (das uns auf den ersten Blick kompetenter erschient) buchten wir schon vorrausschauend die dritte Woche unserer Reise: Badeurlaub in der alten Hafenstadt Cochin am Suedzipfel Indiens im ewig sommerlichen Kerala, wo man uns versprach, wir koennten den Strand vom Hotel aus bequem sehen ... Das war eine recht herbe Interpretation. Das Hotel erwies sich wirklich als feinste Adresse in Cochin, aber der Badestrand war eine Hafenmauer mitten in der Innenstadt ! Und Cochin ist beileibe kein Badeort, sondern eine quirlige Hafenstadt mit regem Wirtschaftsverkehr. Es war ungefaehr so, als ob man unerfahrenen Touristen die St. Pauli Landungsbruecken hier in Hamburg als Badeparadies verkauft ;-) Wir habens nur deswegen nicht gemerkt, weil wir keinen Reisefuehrer fuer Suedindien dabei hatten. Dazu hat Noor Travels uns dann auch noch um einen um 60% falschen Hotelpreis beschissen, weil er nicht wie versprochen, eine TAX an das Hotel ueberwiesen und zudem einen abenteuerlichen Dollarkurs berechnet hat. Nur hatte Noor nicht damit gerechnet, dass wir nochmal bei ihm auftauchen sollten ... Aber davon spaeter.

Spaetestens jetzt waere ein normaler Tourist aus Indien abgereist, haette Indien die Pest, Feuersbrunst, Hungersnot und Atomkrieg gewuenscht und waere nie wieder gekommen.

Und haette damit nie kennengelernt, wie Indien tatsaechlich ist.

Dantes siebter Kreis der Hoelle ist schliesslich nicht die Beschreibung aller Weltsphaeren aus seiner goettlichen Komoedie.

Und Delhi ist nicht Indien. Das sind die 700000 Doerfer, die 900 Millionen unwahrscheinlich friedfertiger und kooperativer Menschen und das ungeheuer weite faszinierende Land. Das war die zweite Lektion, die wir zu lernen hatten.

Aber langsam (so ihr vom vielen Lesen noch ermuedet seid): Auch Delhi selber hat einige Schutzraeume: Einige Kaffehaeuser und das wunderschoene Jantar Mantar, ein astronomisches Observatorium aus dem 17. Jahrhundert, das als ein kleiner oasenhafter Stadtpark von Regierungsbeamten waehrend der Mittagspause benutzt wird.

4. Akt: Hic sunt Tigres ! (im wahrsten Sinne des Wortes ...)

Endlich weg aus diesem Moloch Delhi !

Unser erstes Ziel in der country site war das Tigerreservat Sariska, gelegen im Osten Radjasthans. Vorher wollten wir mit unserem samt Fahrer angemieteten Wagen aber noch gerade eben in Nim Ka Thana vorbeifahren, um da schon ein paar Zentner Gepaeck zu lassen. Dabei haben wir dann gemerkt, dass wir unserem Fahrer erst mal zeigen mussten, wo das kleine Landstaedtchen Nim Ka Thana ueberhaupt liegt. Den diese Fahrer aus Delhi sind nur darauf trainiert, Touristen zu den Brennpunkten zu fahren, wo sie dann weiter ausgenommen werden koennen (und der Fahrer einige Provision kassiert) Da haben wir ihm aber einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Als unser Wagen, ein uraltmodischer Ambassador (ein nachgebautes und fast unzerstoerbares britisches Taxi), auf den Schulhof der G.M. Modi High School in Nim Ka Thana einbog, wurden wir wieder in eine voellig neue Welt gestuerzt: Wir waren die Superstars, wir stiegen aus unserem Wagen wie Michael Jackson persoenlich von hunderten auf uns einstuerzenden kreischenden Teenies umdraengt ! Denn einen westlichen Wissenschaftler, und seien es nur Amateurastronomen, hatte hier seit Menschengedenken noch niemand zu sehen bekommen und wir selber waren die Sensation fuer die einheimische Jugend. Zig Autogramme geben muessend, konnten wir eine kurze Stippvisite zum Geraeteraum machen, dort unser Instrumentarium lagern und noch ein paar Worte mit Jagdeev Singh wechseln, der zwar ein wenig erstaunt war, dass wir auftauchten, weil er von uns trotz zigfacher Versuche auch nur eine einzige e-mail mit unserer Anmeldung bekommen hatte. Trotzdem war alles fuer uns vorbereitet und die Angaben der einzigen fluechtigen e-mail waren in allem vollkommen wahr geworden: Das Internet hat einen ganz und gar realen Background !

Auf dem weiteren Weg nach Sariska ereilte uns dann das Schicksal in Form eines Bruchs der Antriebswelle und wir sassen mitten in der Wuestensteppe am rande eines Wadis fest. Aber oh Wunder materialisierte auch hier am Ende der Welt ein Mechaniker aus einem nahegelegenen Dorf, der es schaffte im Lichte unserer Taschenlampen die Welle an Ort und Stelle zu flicken. Wahrend wir auf den Mechaniker warteten, ereignet sich eine weitere begegnung der besonderen Art: Ein alter Derwisch, offenbar ein Pilger kam langsam auf uns zu, verweilte lange ohne ein Wortzu sagen, um schliesslich eine Hand rythmisch zu erheben und gesetzte leise Worte in einer uns vollkommen fremden Sprache zu rezitieren. Das ging eine Weile so, dann zog der Derwisch weiter. Dabei war da was ganz besonderes:

Fuer diesen Mann existierte die Zeit einfach nicht.

Wir selber sassen ja fest, konnten nicht weiter, die Zeit verrann und fing uns an zu piesacken. Und der kam daher und spottete auf seine leise wuerdige Weise einfach jedem Zeitbegriff. Das war die dritte Lektion: Es gibt auch ganz andere Zeitskalen als die von uns fuer perfekt gehaltene, andere bis zur Bedeutungslosigkeit zeitlose Skalen. Wie die des alten Pilgers, der uns nur einfach segnen wollte, wie sich spaeter erkaeren liess.

In Sariska endlich hatten wir die erste Gelegenheit, mal endlich nach Delhi, Starrummel und Wuestenpanne zur Ruhe zu kommen und einwenig Seele und Beime baumeln zu lassen. In Sariska haben wir zwar keinen Tiger, wohl aber eine frische Spur gesehen, dafuer aber Horden von kackfrechen Aeffchen und einen wunderbar grossen Skarabaeuskaefer, der vom kalten Gras aufgehoben erst in unseren warmen Haenden so richtig munter wurde. Mir war garnicht klar, wie ein fast 30 Gramm schwerer Kaefer soviel Kraft entwickeln kann. Aber auch hier: Wir trafen zwei Heissluftballonisten aus Fairbanks, Alaska 8-), exquisite Bierkenner, die die indische Braukunst am ehesten als Guiness mit Curry treffend beschrieben ...

5. Akt: Kaffeefahrt in Jaipur

Wir konnten unseren Fahrer gerade noch mit einigen Drohungen dazu zwingen, uns nach Alwar, einer von Touristen zu Unrecht nicht besuchten Stadt zu fahren. Dabei befindet sich dort ein ganz wunderbares Schloss des Moguls Hamayun, dessen erhaben finsteres, von Kobras und bestialischem Fledermauskotgestank erfuelltes Mausoleum in Delhi eine der wenigen Attraktionen ist. Ueber Alwar erhebt sich eine gigantische orientalische Festung, aber unten in der Stadt ist richtig feines, vom Tourismus vollkommen unverdorbenes Leben. Wir schlenderten ueber den Bazaar. Ich selber brauchte eine Rolle Isolierband, um meine Videokameras gegen Staub abzudichten und Daniel haette gerne eine Taschenlampe gehabt. Ich selber fand dann mein Glueck fuer schlappe 6 Rupees (=25 Pfennigen), nachdem bis zu sieben ruehrend um mich besorgte Bazaaris mich zu einem winzigen Elektrobedarfsladen gefuehrt hatten. Daniel fand zwar einen Laden mit zig Taschenlampen, bekam aber keine: Dort wurden naemlich Taschenlampen keineswegs verkauft, sondern defekte repariert (!) Schon wieder eine Dosis echten Indiens !

 Endlich, endlich kam dann unser Fahrer doch noch zum Zuge (aus seiner Sicht). Die Attraktion Jaipus, der Palast der Winde mit seinen 971 Fenstern und Erkern haben wir nur im Vorbeifahren gesehen, weil er nichts besserees zu tun hatte, als uns zu einer Teppichknuepferei zu schleppen, wo wir uns nach einer kurzen Fuehrung durch die Produktion in einem feinen Verkaufsraum wiederfanden ! Recht geschickt wurden uns dann die verschiedenen Qualitaeten der orientalischen Teppichknuepfkunst vorgefuehrt, bis wir dann uns doch mal genoetigt sahen, den Verkaeufern klarzumachen, dass wir keineswegs gewillt waren, ueberhaupt was zu kaufen. Mit wachsender Verzweifelung zeigte man uns dann immer kleinere (und damit billigere) Teppiche, bis man bei Handtuchgroesse einsah, dass wir hoffnungslos sture Faelle waren. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, ob wir damit den Leuten nicht ein wenig Unrecht getan haben, denn ich habe auch ganz traumhaft schoenes Exemplar in Schwarz, Blau und Ockergelb gesehen, wo ich bedenklich schwach geworden bin. Wahrscheinlich haette ich schon einen schoenen Kauf getan, nur eben etwas sehr zu teuer. Mangelhafte Sachkenntnis rief mich dann zur Disziplin. Noch hatte unser Fahrer nicht ganz aufgegeben, denn es ging gleich ins Nachbargeschaeft, wo bedruckte Tuecher feilgeboten wurden. Dort hatte man es zum Pech der Anbieter aber versaeumt, SoFi-T-Shirts zu drucken und so gingen auch sie leer aus.

Bei dieser Kaffeefahrt wurde dann ein Slogan aus der Taufe gehoben, der ganz syptomatisch werden sollte: "Tja, dumm gelaufen :-)"

Am naechsten Tag sollte es dann endlich auf die Central Line gehen, mit dem Verkehrsmittel Nummer eins in Indien, der Eisenbahn, denn Nim Ka Thana liegt zwar am Ende der bekannten Welt, hat aber einen Bahnhof. Nur wir hatten eben immer noch nicht gelernt, mit Indien und nicht nach unserem deutschen Determinismus zu leben. Und wir erblickten wieder die grinsende Fratze der Heisenbergschen Unschaerferelation, die Radjasthan ganz und gar makroskopische Skalen erreicht: In Form eines im Bahnhof entgleisten Waggons, der genau das Gleis blockierte, von dem aus unser Zug abgehen sollte, der einzige an diesem Tage direkt nach Nim Ka Thana. Mit der von unserem Reisefuehrer empfohlenen stoischen Ruhe erwarteten wir dann die Ankunft unseres Zuges auf einem anderen Gleis oder eben etwas spaeter nachdem der Waggon entfernt worden war, aber nichts von alledem.

Rund um den Waggon bauten sich etliche Inder Stuehle auf, um in aller Ruhe die stundenlange Prozedur zu zelebrieren, wie der Waggon wieder mit einem handbetriebenen Hydraulikstepel und hundert helfenden Haenden zurueck ins Gleis gewuchtet wurde. Und wir mittenmang. Keine Seele stoerte sich daran, dass wir ebenso wie das uebrige Publikum ueber die Gleise liefen und uns die Zeit mit Reality (eben nicht)TV vertrieben. Denn einige sagten uns, der Zug wuerde spaeter kommen, wenn das Gleis wieder frei sei. Dabei merkten wir nicht die wahre indische Loesung des Problems: Viele hundert Passagiere liefen einfach die Gleise entlang zur naechsten Station, wo der Zug dann tatsaechlich abfuhr, aber eben ohne uns. Nicht nur die Angaben von Zeiten, sondern auch von Orten unterliegen in Radjasthan einem weiten Intervall der Aufenthaltswahrscheinlichkeit und sind keineswegs scharf und deterministisch praezise.

Wir erreichten Nim Ka Thana trotzdem an diesem Tag. Wieder einer allzu woertlich genommenen Empfehlung folgend hatten wir den Zug nach Phulera genommen, wo wir umsteigen wollten, aber der Anschlusszug war schon weg, weil fahrplaene in Indien unverbindliche Empfehlungen sind. Den achselzuckenden Empfehlungen unseres "Tipgebers", doch einfach nach Jaipur zurueckzukehren und es am anderen Tag noch mal zu versuchen, widersprachen mit geradezu masochistischer Strenge. Wir machten mit einem weiteren indischen Vehikel der Extraklasse Bekanntschaft, das geradezu orientalische Wunder vollbringen kann: Dem Urjeep-Nachbau von Mahindra.

Der Mahindra-Jeep ist das urtuemlichste Auto, dass ich je zu Gesicht bekam. Keine Schraube zuviel, ist dieses spartanische Gefaehrt fast unzerstoerbar und das ist auch ganz und gar unverzichtbar. Und der Mahindra ist der stolze Besitz seines Fahrers, fuer den seine ganze Sippe wohl bitter bluten musste: Denn die Mahindrafahrer fahren selbst fuer deutsche Verhaeltnisse sehr umsichtig, im merkwuerdigen Kontrast zum indischen Kamikazestil Delhis. Uns so wurden wir in fuenf Stunden nach Nim Ka Thana geknueppelt: 195 km Buckelpiste !

6. Akt: Die Finsternis.

Endlich in Nim Ka Thana auf der Central Line. Die Profis trafen sich im Daram Shalah, der traditionellen Pilgerherberge. Dort nahm uns Dr. Raneesh Kapur, der Oberassistent von Prof. Jagdeev Singh in Empfang. Zuerstmal bekamen wir einen Schreck, denn man verlangte freudestrahlend fuer einen spartanisch mit Feldbetten vollgestellten Schulraum und einen Wassertank mit 8 Krahnen als einzige hygienische Massnahme phantastische 2250 Rupees pro Person, umgerechnet 100 Mark fuer nichts ! Einige Verhandlungen ergaben aber einen ganz raschen Preisnachlass um ebenso phantastische 85%, so dass wir fuer 15 DM zwei Tage wenn auch spartanischte Vollpension inclusive freie Riksha-Fahrt und martialische Bewachung unserer Kameras bekamen.

Auf dem Dach der daneben gelegenen Grudschule konnten wir dann noch den suedlichen Himmel geniessen und im Morgengrauen nochmal einen letzten Blick auf die verschwindende Mondsichel, den gleissend hellen Merkur und den hoch ueber uns stehenden Orion werfen. Dann brach der Tag vor der Finsternis an. Und wer war da noch ? Der Astro-Irrwisch Friedhelm Dorst, ein Lehrer aus Siegen war ganz eilig angereist, um am Finsternistage gleich weiter nach Australien zu eilen, um dort zwei Tage spaeter noch den Durchgang des Titan vor dem Saturn zu beobachten, um dann sofort wieder an sein Lehrerpult in Siegen zurueckzueilen ...

Am Morgen nach einem ganz und gar indisch scharfen (vom Geschmack her) Fruehstueck fuhren wir dann zum Beobachtungsplatz, wo wir unsere Instrumente aufbauten und unsere Kameras einem letzten Funktionstest unterzogen. Besonderes Aufsehen erzeugte dabei meine Alukiste, die ich einfach leerrauemte, mit 30 Kilogramm Radjasthanischem Wuestenstaub vollschaufelte, um auf ihrem mit einem Holzbrett versteiften Deckel mein Aludraht-Sechsbein fuer eben jene knallgelbe Vixen-GP Montierung aufzubauen.

Das Blut gefror mir in den Adern, als ich merkte, dass meine Kamera sich garnicht scharfstellen lies. Die Rappelstrecke von Phulera hierhin hatte dem APO von Sigma offenbar den Rest gegeben: Die Frontgruppe erwies sich als geklebt und die Klebung war wegen der extremen Erschuetterungen einfach aufgegangen ! Hilfe war aber genauso schnell da. Mit einigem beim astrophysikalischen Institut von Allahabad geliehenen Feinmechanikwerkzeug konnte ich den schaden dann schnell ambulant beheben und kam dabei mit den indischen Wissenschaftlern schnell in eine freundschaftliche Fachsimpelei... Die Solar Community haelt eben zusammen wie eine kleine gallische Dorfgemeinschaft auch ganz ohne Zaubertrank ;-)

Der Starrummel ging weiter, diesmal wurden wir zu TV-Celbrities ;-) ich bin noch nie vorher von fuenf verschiedenen Fernsehteams an einem einzigen Tag interviewt worden. Dauernd hatte ich ein Mikro im Gesicht und wurde von TV-Objektiven foermlich eingesaugt. Und tatsaechlich ! Wenig spaeter sahen wir uns dann fetzenweise im asiatischen TV wieder ...

Als wir abends zum Daram Shalah zurueckkehrten, gab es dann tatsaechlich eine Katastrophenmeldung: Friedhelm Dorst hatte einen Totalschaden zu beklagen. Sein Leitz APO-Telyt hatte den ganzen Tag in der sengenden Sonne auf dem Dach der benachbarten Schule gestanden und dann kam ploetzlich der Schatten. Die verkittete Frontlinse ist ihm dann auf aeusserst buntschillernde Weise in der Kittflaeche geplatzt, denn den schroffen Temperaturwechsel ertraegt kein Achromat der Welt. Er entschloss sich angesichts der 8 kg Lebendgewicht den Telyt an zwei Schulbuben aus Nin Ka Thana zu verschenken. Vielleicht gehen nun aus diesem kleinen radjasthanischen Wuestenstaedchen wieder zwei bedeutende indische Astronomen hervor, von denen Indien so viele hat ? Wer weiss ?

Die Sonne ging unter, aber das Leben bekam einen neuen Hoehepunkt: Diwali, das hinduistische Neujahrsfest, faellt eben auf jenen Neumond der die Sonne verfinstern wird. Und Diwali wird genauso gefeiert wie bei uns Sylvester, mit einem Mordsgetoese explodierender Kracher. Wir waren schon in unserem Feldlager, da ging die Tuer auf und eine riesige Menge ungemein froehlich und freundlich gesinnter Menschen stroemte in unseren Raum. Ein ganzer Familienclan sah es als hoechste Ehre an, uns westlichen "Wissenschaftlern" ein ganz herzliches Happy Diwali zu wuenschen 8-)

So ist Indien wirklich.

Im Morgengrauen sahen wir nochmal dem Merkur und den prachtvollen Winterhimmel, der bestes fuer den Tag der Tage versprach. Und so war es dann auch: Es gab um fuenf Uhr frueh zwar kein Fruehstueck, aber jede Menge Tschai Masala, der typische indische Tee, der mit Kardamom und Zimt gekocht wird in rauhen Mengen (Nichwa Buddah, sieben Tassen ?) Anschliessend schraddelten wir mit unseren knatternden Moped-Rikshas dem gleissend hellen Sonnenaufgang an einem tief stahlblauen Himmel entgegen.

Unsere Plaetze waren optimal. In der ersten Reihe stehend (ja liegt das an meinen ZDF-Aufklebern auf der Alukiste, die ich von der IFA mitgebracht hatte), stolzierten nur noch drei Pfauen vor unseren Teleskopen und Kameras einher und begruessten in aller ihrer Pracht die schon beim Aufgehen unertraeglich helle Sonne. Ich schaltete meine Instrumente ein und alles funktionierte perfekt. Der Tag vorher hatte sich mit seinem ganzen Testen voll gelohnt, und so konnte ich das ganze sehr entspannt geniessen.

Der erste Kontakt kam exakt um 7:24:15 Ortszeit. Die Sonne bekam eine Beule. Das ging schnell, unheimlich schnell, wie der Sonnenrand sich eindellte. Point of no Return.

Waehrend der 78 Minuten der partiellen Phase ist man erstmal entspannt, dann wird es aber doch schon ein wenig mulmig, denn die Sonne steigt zwar am Himmel empor und ist gewohnt gleissend hell, aber die Umgebung bleibt merkwuerdig duester und die kalte, seltsam tintenblaue Farbe des Himmelszelts schafft eine unheimliche werdende Atmosphaere. Und die Tageshitze bleibt aus.

Wenige Minuten vor der Totalitaet, wissend, dass der Mondschatten schon ueber den Iran und Pakistan rast, nimmt der Gerauschpegel denkbar zu. Nicht durch die sonor knatternden Stromaggregate, die das empfindliche Instrumentarium vom unzuverlaessigen Netz Nim Ka Thanas abkoppeln sollen, sondern durch die immer aufgeregteren Schreie der tausende zaehlenden Betrachter von ausserhalb des Camps. Selbst die Profis zeigen sich wenig abgebrueht. In seltsamem Kontrast zu dem Menschen setzen sich die Tiere wieder zu Ruhe: Die Pfauen sassen brav auf einer Mauer und ruehrten sich nicht mehr. Die Sonne war nur noch eine hauchduenne Sichel, die ganz komische scharfe Schatten warf. Und dann sahen wir von hinterruecks den Mondschatten mit siebenfacher Schallgeschwindigkeit heranrasen.

Alles geht nun ganz schnell.

Nun schnueren sich die Hoernerspitzen der letzten Sonnensichel durch die ersten einzelnen Mondberge am Rand ab und verschwinden entgueltig: Baillys Bed's. Ich hoere mich auf der Audiospur meiner Videobaender "Filter ab" rufen und da erscheint in atemberaubender Pracht der Diamantringeffekt, der mit majestaetischer Ruhe unaufhaltsam entsteht und vergeht, um der Korona und der totalen Phase der Finsternis Platz zu schaffen. Ich habe dieses mal mir den Luxus erlaubt, hochzuschauen und den Finsternisbeginn nicht durch den Sucher meiner Kameras, sondern so mit blossem Auge zu erleben. Und ich bin, obwohl es schon meine zweite totale Finsternis ist, davon wirklich ueberrascht, wie winzig sie am Himmel steht. Klar, wird mir viel spaeter erst bewusst, der Mond ist doch nur ein halbes Grad gross, aber wir kennen als Alltagsmenschen totale Sonnenfinsternisse ja nur von exzessiv vergroesserten Bildern !

Mitten in der Finsternis merke ich, dass ich den Shutter der Kamera vollkommen vergessen habe, auszuschalten. Ich hole das nach und schaue wieder zum Himmel auf.

Und da ist sie schon wieder zu Ende. Oh mein Gott, sind 49 Sekunden kurz, grinst mir der ebenso prachtvolle Diamantringeffekt, nun auf der gegenueberliegenden Seite der tiefschwarzen Mondscheibe gelegen, entgegen. Atemlos sehe ich noch etliche Sekunden zu, wie die Korona verblasst, um endlich mich zu zwingen den Filter wieder auf die Kameras zu stecken, um sie vor dem Verbrennen zu schuetzen. Nachdem ich noch zwei oder drei Minuten die immer breiter werdende Sonnensichel gefilmt habe, schalte ich beide Kameras ab.

Der Jubel ist riesig. Wir beglueckwuenschen uns und klatschen in die Haende der Kollegen. Dann kommt es zu einem ersten Briefing, wie es denn gelaufen ist. Eine kurze Wiederansicht meines Videos von der grossen nachgefuehrten Kamera zeigt eine fast perfekte Aufnahme der der Totalitaetsphase: Der vergessene Shutter hat naehmlich den Chromosphaereneffekt und die sonst immer drastisch ueberbelichtete innere Korona und etliche Protuberanzen zum Vorschein gebracht. Das Ausschalten des Shutters waehrend der Finsternis schaltet dann die auessere Korona, wegen des extrem guten Wetters mit Perfektion ein, insbesondere die fuer ein solares Minimum typischen polaren Streamer der Korona entlang der Magnetfeldlinien der Sonne. Lediglich beim dritten Kontakt werden dadurch Bailly's Beds ueberbelichtet und daher ausgebrannt. Aber das ist mir voellig egal. Die Totalitaet ist perfekt aufgezeichnet.

Leider nicht so das Video der kleinen Kamera. Denn da hatte ich vergessen, die automatische Belichtungsanpassung auszuschalten und die TR2000, ist so ungemein empfindlich, dass es immer wie bei normalem Sonnenschein ausschaut. Lediglich die voellig ueberstrahlte Sonnensichel wird waehrend der Totalitaet durch eine geringere Ueberstrahlung der Sonnenkorona auf dem Videoband ersetzt. Lediglich den abziehenden Mondschatten kann ich einigermassen einfangen. Die fliegenden Schatten habe ich auch nicht aufnehmen koennen, und im nachhinein ist mir auch klar, warum: Sie sind viel zu kontrastschwach und auch wesentlich zu schnell, um sie mit den kruden 25 Bildern pro Sekunde einer Videokamera einfangen zu wollen, erst recht im schraegen Anblick. Das Experiment mit der Weitwinkelkamera ist schiefgegangen.

7. Akt: Indien danach.

Nach der Finsternis zog unsere Astrokarawane weiter nach Jaipur, diesmal ungestoert mit dem Zug. Dort liessen wir endlich wieder ein wenig Zivilisation einsetzen, mit sauberer Waesche und einer Dusche, so gut es eben ging. Denn auch die Funktion von sanitaeren Einrichtungen unterliegt in Indien erratischen Schwankungen, mal geht es, mal nicht und es ist immer ueberraschend. Aber es war noetig, denn in Nim Ka Thana herrscht noch Mittelalter mit Schweinen in der Gosse, Kamelwagen (anstatt von Pferdewagen) und Staub- und Russfontaenen. Wir sahen schon richtig abgerissen aus.

Die naechste Station war dann der Vogelnationalpark Keoladeo bei Bharatpur. Und da ist wirklich eine Oase. Nicht nur das sehr preiswerte Hotel entpuppte sich als feine Adresse mit einem ausgezeichneten Koch und einem richtig gepflegten Garten, sondern bei Bharatpur gabs auch eine der vielen fast ausserirdisch wirkenden Festungen, fuer die Radjasthan so beruehmt ist. Der Park selber, ehemalig angelegt als Vogeljagdgebiet fuer den lokalen Maharaja, ist Keoladeo jetzt ein Refugium fuer alle moeglichen Grossvoegel un unueberschaubarer Zahl: Stoerche in rauhen Mengen, Pelikane, Papageien, Kormorane, Geier und etliche riesige Adler und ... in einiger Zahl Eisvoegel, Kingfisher genannt.

In der Naehe von Bharatpur liegt auch die Millionenstadt Agra, die das wohl atemberaubend schoenste Bauwerk auf diesem Planeten beherbergt: Das Taj Mahal. Gebaut von 1631 bis 1653 ist es ein muslimisches Grabmal, das der Mogul-Imperator Indiens Shah Jehan fuer seine Lieblingsfrau errichten liess, die an der Geburt ihres 14. (!) Kindes verstarb. Shah Jehan liess einen Traum aus weissem Marmor errichten: Hier ist alles mit Einlegearbeit von weissem und schwarzen Marmor realisiert: Die Suren des Koran sind nicht aufgemalt ! Feinste Filligrangitter in den riesigen Fenstern sind aus ebensogrossen Marmorplatten gemeisselt und keineswegs zusammengesetzt und die Blumenornamente im Inneren sind mit Halbedelsteinen realisiert. Das Ganze ist aber mit architektonisch klarer Strenge, vollkommener Symmetrie und Feingefuehl fuer vollkommen unverschnoerkelte Ornamentik, die einzig den Muslimen erlaubt ist, so weit von schnoeder Pracht oder gar Kitsch entfernt, wie die unsichtbare Rueckseite des Mondes von uns.

Im Taj Mahal herrschte eine ungeheure Hitze und Feuchtigkeit, und die wiederholten Preisungen Allahs, die die beiden anwesenden Mullahs ausriefen standen als Echo noch fuer etliche Sekunden im hallengrossen Inneren des Taj Mahal. Mit freundlicher Bestimmtheit wurde ich zu einer kleinen (fuer indische Verhaeltnisse aber offensichtlich ueppige) Donation "angehalten". Daraufhin machte ich mit einer weiteren Ueberraschung des Orients Bekanntschaft. Der Mullah neben mir sah das und vergass sofort, dass ich eigentlich ein Unglaeubiger im islamischen Sinne bin. Er betupfte meine Stirn mit Rosenoel und bedachte mich mit Allahs Segen.

Allahs Beistand hatte unsere Expedition dann auch angesichts des indischen Strassenverkehrs auch durchaus noetig. Spaeter wurde uns dann klar, dass Spenden (auch die Gabe an einen erwachsenen Bettler oder Pilger) im Orient durchaus eine fromme Tat ist, die mit einem wirklich ernst gemeinten Segen, je nach Religionszugehoerigkeit bedacht wird. Wobei mir klar wurde, dass dieses Verhalten ganz religionsuebergreifend ist und Hindus, Sikhs, Buddhisten und Muslime durchaus friedlich und tolerant zusammenleben. Deshalb verstehe ich die Spannungen zwischen dem muslimischen Pakistan und dem hinduistischen Indien nun noch um so weniger. Sollte das gar kein Religionszwist, sondern eine fatale Spaetfolge des europaeischen Imperialismus sein ?

Letzte Runde:

Paul und Tom mussten wieder zurueck nach Deutschland zu Terminen bzw. Familie, also lieferten wir sie in Delhi ab. Spatestens jetzt wurde klar, das Delhi alleine das Problem ist, den die Absteige, wo Tom und Paul unterkamen, war wirklich von der uebelsten Sorte. Nur konnten wir jetzt endlich besser den Abzockversuchen dank 2 Wochen Indientraining wiederstehen. Wir restlichen vier zogen dann weiter in besagtes Cochin nach Suedindien, um uns noch eine Woche von den SoFi-Strapazen zu erholen.

Cochin war schon wieder eine faustdicke Ueberraschung ! Cochin ist naemlich eine uralte Handelsstadt am arabischen Meer und seit grauer Vorzeit der Hafen Indiens zur westlichen Welt. Dort landete 1498 Vasco da Gama, der dort auch 1524 starb und begraben wurde. Nach Pizarros Grab im letzten Jahr in Lima standen wir schon wieder am Grab eines bedeutenden Weltentdeckers. Auch sonst ist Cochin ein tropischer Schmelztiegel aus Christen, Muslims, Hindus usw. Nur einen Strand gibt es nicht. Um den zu erreichen, mussten wir eine dreistuendige Knochenbrechertour in bruellender Hitze unternehmen... Dafuer hat Cochin, im ewig gruenen fruchtbaren Kerala gelegen, viele andere unerwartete Attraktionen, zum Beispiel ein spreewaldartiges Hinterland mit 2000 km Bootskanaelen, wo Muskat, Nelken, Zimt und der Pfeffer waechst. Zum anderen landeten wir per Zufall im Presseclub von Cochin, wo wir prompt nochmal ausfuehrlich interviewt wurden, weil man uns schon mehrfach in verschiedenen Fernsehinterviews entdeckt hatte.

Zurueckkehrend nach Deutschland mussten wir leider nochmal durch den Moloch Delhi mit seinem apokalyptischen Dieselgestank. Angesichts von zwei zornesroten Racheengeln, di in seinem laden materialisierten, rueckte der voellig ueberraschte Noor das von uns zu Unrecht abgezockte Geld kommentarlos raus und hatte ploetzlich danach eine ganz unorientalische Eile, seinen Laden dichtzumachen... Delhi wird von Gangstern bewohnt. Aber dennoch, auch hier fanden wir noch zweimal liebenswerte Inseln: Eine indische Fernsehproduktion, die mit vier Leuten profilike Videos macht in einem Raum der die Groesse einer halben Garage hat ! Wir hatten sie in Nim Ka Thana kennengelernt.

Auf dem Etikett einer gut gekuehlten Flasche King Fisher Biers entdeckten wir das Motto der naechsten Finsternistour: Am 9. 3. 1997 wird sich die Sonne ueber der noerdlichen Mongolei, Ostsibirien und dem Kaeltepol der Nordhemisphaere verfinstern. Nach Radjasthan kann uns das auch nicht mehr schrecken und wir werden auch dahin reisen. Angesichts der zu erwartenden Kaelte von zumindest -30 Grad bekommt besagter Slogan auf der Bierflasche einen besonderen Sinn: - most thrilling chilled ! -

Gruss, Georg


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